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Blogathon 2010: Sechs Filme über Bewegung von Hiroyuki Tanaka a.k.a. Sabu

Einer der ersten Regisseure, für den ich mich vor einigen Jahren im Zuge meines  langsam erwachenden Interesses am japanischen Film begeistern konnte, war Hiroyuki Tanaka, bekannter unter seinem pseudonym Sabu. In den letzten Jahren ist es hierzulande etwas ruhiger um ihn geworden, nachdem der hiesige DVD-Markt eine Zeit lang halbwegs großzügig seinen Output lizenzierte, vermutlich auf der Suche nach dem nächsten großen Hype aus Japan, und Tanaka Stammgast auf deutschen Festivals war. Seitdem habe ich sein aktuelles Schaffen etwas aus den Augen verloren, aber seine relativ mainstreamigen, leichtfüßig-tiefgründigen und unglaublich menschlich warmen Komödien aus der Zeit habe ich sofort ins Herz geschlossen.

Zwei Konstanten finde ich in seinen Filmen. Die eine ist sein Interesse an seinen Normalos, echten Average Joe-Figuren, die er mit geradezu sadistisch anmutender Entschlossenheit, ausgelöst durch unwahrscheinliche Zufälle, in die verzwicktesten Situationen und auf eine Reise in Richtung Selbsterkenntnis schickt. Manche finden ihr Glück, andere gehen unterwegs verschütt, aber alle sind Unterwegs. Da sind wir auch schon bei der zweiten Konstante in seinem schaffen. Der (Fort-)Bewegung. Ob seine Antihelden nun Auto oder Fahrrad fahren, orientierungslos durch die Stadt streifen, rastlos rennen oder sturzbetrunken durch das Nachtleben torkeln, jeder dieser Filme hat den Charakter eines abstrakten Roadmovies, eingeschlossen im persönlichen Mikrokosmos seines jeweiligen Protagonisten.

In Tanakas Debutfilm Dangan Runner, möchte dieser gerade eine Bank überfallen, als er merkt, dass er sich besser um etwas Tarnung kümmern sollte. Also schnell zum nächsten Convenience Store gelaufen um als Notnagel einen Mundschutz (leider nur in Kindergröße) zu ergattern. Ohne zu bezahlen, natürlich. Der Verkäufer bekommt das mit, und somit startet eine Verfolgungsjagt, die den Rest des Filmes dauern wird. Auch der Verkäufer hat eine Leiche im Keller, genauer gesagt Schulden bei einem Yakuza, dem er natürlich prompt in die Arme läuft, und schon sind sie zu dritt auf der Flucht voreinander… oder eher vor sich selbst? Jedenfalls wirkt das ausdauernde Laufen offenbar sehr befreiend auf sie, ganz als würden sie alle Sorgen dieser Welt nicht mehr bekümmern. Sie vergessen alles um sich herum und bald auch ihre Gründe, warum sie eigentlich mal losgelaufen sind. Der tödliche Ausgang im Showdown entledigt sie dann endgültig aller ihrer Qualen, er ist die konsequente Endstation ihres Totalausstiegs. Dramaturgisch noch etwas ungelenk, bietet Dangan Runner aber schon einen ersten Vorgeschmack auf Tanakas ureigene überdrehte und und ultrastylische Vision.

Gegenstand von Postman Blues ist ein – ihr erratet es wohl kaum – vom Leben angepisster Postbote, der neuen Lebensmut aus der Beziehung zu einer  todkranken Krebspatientin schöpft, deren Briefe er im stockbesoffenen Zustand in seiner völlig zugemüllten Wohnung liest, nachdem er den fatalen Beschluss trifft, die Post einfach mal nicht auszutragen. Fatal deshalb, weil sich noch etwas wichtiges in der Posttasche befand: nämlich der abgeschnittene Finger eines alten Yakuzafreundes, dem er zufällig begegnete und der eigentlich mal besser seinem Boss überliefert werden sollte. Das löst die unvermeidbare Lawine von skurrilen Ereignissen aus, die ihn, ohne jegliche Ahnung davon, dass er von Polizei und Yakuza verfolgt wird, mit dem Fahrrad auf seine letzte Botentour führt. Vielleicht der warmherzigste Film Sabus.

Der Held in Unlucky Monkey hat gleich doppelt Pech. Sein Überfall geht schief, sein Partner beißt dabei ins Gras, und auf der Flucht mit der Tasche voll Geld ersticht er auch noch versehentlich eine unschuldige Frau, als er sie anrempelt. Auch ihn erwartet mal wieder eine lange Reise ins eigene Ich, auf der Suche nach Sühne für seine Tat, bei der er allen möglichen schrägen Figuren begegnet und sogar unfreiwillig zum Anführer einer Aktivistengruppe wird, bevor er letztendlich an seinem vorläufigen Ziel, einem geeigneten Acker zum vergraben seiner Beute, ankommt. Was er nicht weiß ist, dass dort auch ein Haufen Gangster versucht, ihren toten Boss zu entsorgen…  Von der Kritik nicht gerade geliebt, ist jedoch auch Unlucky Monkey ein typisch sympathischer Sabu-Streifen geworden. Seine bewusst trägere Handlung im Vergleich zu seinen Vorgängern schreckte aber offenbar viele alte Fans ab.

In Monday wird’s dann so richtig übel. Und seinem Protagonisten ebenfalls, als der Kerl mit dem dicksten Brummschädel des Universums in einem Hotelzimmer erwacht und sich an nichts erinnern kann. Eins ist klar: er hat mindestens einen Tag verschlafen und vorher ordentlich einen gebechert. Und seltsamerweise scheint der Hotelpage ein bisschen Angst vor ihm zu haben. Nach und nach kehrt die Erinnerung zurück und der arme Schlucker erinnert sich, wie er vom harmlosen Gast einer Beerdigung inklusive explodierender Leiche, über einen ausgiebigen Ausflug ins wilde Nachtleben, zum meistgesuchten Terroristen Japans wurde. Monday ist Tanakas bösester und bissigster Streifen bisher. Wer für diese Art von ultraschwarzem Humor etwas übrig hat, sollte das Teil mal gesehen haben.

Drive macht uns mit dem in etwa zweit- oder drittspießigsten Büroangestellten der Welt bekannt. Sein verstorbener Vater hat ihn zu eiserner Disziplin erzogen und er liebt Regeln und Pünktlichkeit. Alles was nicht genau nach Plan verläuft, wirft ihn aus der Bahn. Das tun auch ein paar jugendliche Gangster, als sie sein Auto als Fluchtfahrzeug kidnappen. Sie staunen nicht schlecht, als sich ihr unfreiwilliger Fahrer an alle Tempolimits hält, an jeder Ampel halt macht und überhaupt die Jungs in nahezu Schrittgeschwindigkeit durch die Stadt kutschiert. In der Folge lässt sich das Grüppchen ziellos dorch die Gegend fahren, wobei einer nach dem anderen wie aus dem nichts heraus einen neuen Sinn fürs Leben findet und durch seltsamste Zufälle z.b. Baseballprofi oder Rocksänger wird. Am Ende steht der gekidnappte Fahrer wieder alleine da und findet sich auf einem verlassenen Acker wieder, wo er sich sprichwörtlich dem Geist seines verstorbenen Vaters stellen muss. Am Ende findet auch er zur Belohnung sein Glück. Ich hatte bisher noch nicht darüber nachgedacht, aber es ist der erste Sabu-Film, der mit einem versöhnlichen Happy End schließt. Ansonsten nicht unbedingt sein gelungenster Streifen – ‘ne halbe Stunde zu lang und etwas zu konfus in seiner Handlung. Ich mag ihn trotzdem.

Blessing Bell ist der unbestrittene Höhepunkt und die logische Konsequenz der bisherigen Entwicklung in Tanakas Style und auch der (vorläufige?) Schlusspunkt. Die darauf folgenden “Hard Luck Hero” und “Hold Up Down” waren noch typisch schrille Sabus, das Element der Bewegung und die Sinnsuche oder Selbstfindung seiner Figuren spielen darin aber nur noch eine untergeortnete Rolle, und mit “Shisso” verabschiedete er sich dann weitgehend von seinem bisherigen Style. In Blessing Bell beobachten wir einen Arbeiter, der eines Tages vor den geschlossenen Toren der pleite gegangenen Fabrik steht. Wo er jetzt ja eh schon mal frei hat, lässt er seine protestierenden Kollegen links liegen und begibt sich auf einen ausgiebigen Spaziergang, der bis zum Morgengrauen. andauern soll. Dabei trifft er unter anderem einen Yakuza der sich vor seinen Augen das Leben nimmt, wird verhaftet, gewinnt im Lotto, wird sogleich wieder ausgeraubt, wird überfahren, trifft im Krankenhaus den Geist eines verstorbenen Patienten… Und das war noch lange nicht alles. Das ist auch die größte Leistung des Filmes; es passiert so viel, und doch inszeniert Tanaka das ganze mit einer derart meditativen Ruhe und Gelassenheit, dass man es fast nicht merkt. Gerne lässt er seinen Charaker auch mal für eine oder zwei Minuten in einem Gebäude verschwinden und den Zuschauer so lange das Treiben vor der Tür beobachten, bis er wieder herauskommt. Bis kurz vor Schluss spricht sein Protagonist kein einziges Wort. Aber er hört anderen zu, lässt sich von ihnen Geschichten erzählen. Er ist genauso unbeteiligt wie der Zuschauer selbst, er wird zu so etwas wie einem Reiseführer, der den Zuschauer bei der Hand nimmt und ihm ein kleines Stück von der großen weiten Welt zeigt. Als er am nächsten Morgen erschöpft am Haus seiner Familie ankommt und seine besorgte Frau ihm die Tür öffnet, bricht er sein Schweigen und niemand mag ihm die Worte glauben, die da so unaufhaltsam aus ihm herausquillen. Dabei hat er doch so viel erlebt in den letzten 24 Stunden…

2 Kommentare

  1. Tolle Zusammenfassung der in Deutschland bekanntesten Filme Sabus.

    Neben Miike und Kitano war er vor ca. 5-8 Jahren der erste japanische Gegenwartsregisseur (jenseits des Anime) mit dem ich mich näher befasste.

    Meine Lieblinge sind POSTMAN BLUES, DRIVE und vor allen anderen BLESSING BELL. Aber auch MONDAY, obwohl etwas zu abgehoben, hat mich gut unterhalten.

    Saturday, 6. November 2010 um 17:06 | Permalink
  2. Zyller schrieb:

    You are so right. Not that I would *ever* commit such a crime, but yeesh, peploe really do send out poor e-mails at times, don’t they?Nice looking blog! I like how you wove in today’s theme.

    Wednesday, 1. October 2014 um 20:15 | Permalink

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