Japan, 1967
Nagisa Ôshima
Von allen Ninjastreifen, die ich mir in letzter Zeit so reingetan habe (und das waren schon einige), sahnt dieser bei mir eindeutig den Exoten- und Originalitätsbonus ab. Der einzige Ausflug des geschätzten und gefürchteten New Wave-Auteurs Nagisa Ôshima in die Welt von Anime und Manga ist ein Film, wie ich ihn zumindest aus dieser Ära des japanischen Films noch nicht zu sehen bekommen habe. Es handelt sich nicht wirklich um einen Animationsfilm, stattdessen filmte Oshima einfach Panel für Panel die Bilder des Manga-Klassikers von Sanpei Shirato ab, schnitt sie gekonnt zu einer rasanten Bilderflut zusammen und garnierte das ganze mit Soundeffekten und gekonntem Voice Acting. Das Ergebnis verblüfft durch seine doch unerwartet “filmischen” Qualitäten. Heutzutage läuft uns etwas ähnliches aus Hollywood ja öfter mal als “Motion Comic” über den Weg. Selten hat man aber bei diesen Werken das Gefühl, wirklich einen Film zu schauen, während nach und nach die von unmotivierten Sprechern vertonten Bilder im Schneckentempo über den Bildschirm flimmern. Ganz anders Ôshimas Variante des filmgewordenen Comics. Die Bilder des mehrbändigen Mangas entwickeln auf zwei Stunden Laufzeit komprimiert ein unglaubliches Gefühl von Action und Dramatik. Wieder einmal zeigt sich hier, dass nicht allein größtmögliches Spektakel auf der Leinwand den Zuschauer zu fesseln vermag. Seine Fantasie und Vorstellungskraft, die uns Menschen angeborene Fähigkeit, die Lücken zwischen den Bildern selbst mit Inhalt zu füllen, erweist sich wie so oft als viel wirkungsvoller.
Die Handlung kann man guten Gewissens als eher komplex bezeichnen. Als ich den Film zum ersten mal sah, musste ich schon bald kapitulieren vor der Fülle an Charakteren, Handlungsebenen und Rückblenden. Trotzdem wusste der Film mich sofort zu fesseln mit seiner rasanten, dynamischen Bilderflut. Ein zweiter Durchgang, diesmal mit einem Laptop bewaffnet um ein paar Notizen zu machen, lichtete sich das Chaos ein wenig. Im Grunde dreht sich die Story um Handvoll Hauptcharaktere. Erstmal wäre da Yuki Jutaro, Sohn des gestürzten Fürsten Yuki Mitsuharu, der Rache an Sakagami Shuzen und dessen Schwester und Komplizin Hotarubi sucht, die seinen Vater töteten und die Macht an sich rissen. In einem Kampf mit Hotarubi verliert Jutaro einen Arm, wird aber von einem mysteriösen Ninja namens Kagemaru gerettet. Kagemaru seinerseits ist der Anführer der Kage Ninja und der Drahtzieher hinter diversen Rebellengruppen und Bauernaufständen und hat es sich zum Ziel gesetzt, die Pläne des Fürsten Oda Nobunaga auf dem Weg zur Alleinherrschaft zu vereiteln. Nachdem Kagemaru mit Hilfe der Bauern die Burg Fushikage, Residenz von Sakagami Shuzen, dem Erdboden gleich gemacht hat, verdingt sich Shuzen als einer der zehn Ninja und Doppelgänger von Akechi Mitsuhide, einem Untergebenen von Fürst Nobunaga.
Im späteren Verlauf nimmt sich der Film viel Zeit dafür, die Hintergründe des Kage Clans und seiner acht Ninja zu beleuchten, ihre Herkunft, ihre außergewöhnlichen Fähigkeiten und wie sie diese erlangten. Nur Kagemaru selbst bleibt eine rätselhafte Figur ohne klare Herkunft. Der Film schafft es leider nicht, seinen Charakteren eine wirkliche Persönlichkeit zu verpassen, sie bleiben blasse Figuren auf dem Schachbrett, über die wir gerade genug wissen, um ihr Handeln und ihre Motive zu verstehen. Aber das ist halt ein nötiges Opfer, das gebracht werden muss, um eine so komplexe und epische Handlung, die auch eine komplette Serienstaffel mit ausreichend Material versorgen könnte, in nur zwei Stunden Film unterzubringen.
Die Erzählweise trägt auch der Tatsache Rechnung, dass wir nicht wirklich viel über die Geschichte der Ninja und den genauen Ablauf der realen historischen Ereignisse wissen, die den Rahmen der Handlung bilden. Die Grenze zwischen dokumentierter Geschichte und fantastischen Legenden ist – wie bei eigentlich allen Filmen des Genres – fließend. Mangaka Sanpei Shirato bevorzugt aber ganz klar die Welt der Gerüchte und Legenden, hüllt seine Charaktere stets in eine diffuse Wolke der Verwirrung und Ungewissheit. Und über allem thront das große Mysterium namens Kagemaru, ein Mann ohne Herkunft und mit ungewissen Motiven, der mehr als einmal stirbt, nur um dann doch bald wieder aufzutauchen, und der mit seinen Täuschungsmanövern und seiner Gabe zur Manipulation ganz Japan aus den Angeln hebt.
Überhaupt ist der Film ein Fest für Freunde der skurillen Ninjaskills und -taktiken. Verdopplung, Elektroschocks und Scheintod? Check! Plötzliches Verschwinden, Unsichtbarkeit, Gedankenübertragung und explodierende Mäuse? Alles an Bord! Dazu als Soldaten getarnte Schildkröten, ein scheinbar kopfloser Mann, eine Armee selbstmörderischer Ratten und sonst noch so ziemlich alles, was die Herzen von Ninjafans höher schlägen lässt.
Zugegeben, der einfachste Film ist es nicht geworden. Man braucht schon ein bisschen Konzentration und vielleicht auch, wie ich, ein paar Notizen und einen zweiten Anlauf, um in der epischen Erzählung nicht den Faden zu verlieren. Wer aber trotzdem durchhält, wird mit dem vermutlich außergewöhnlichsten Film seines Genres und einem Abend voller Action und Spannung belohnt.
Wertung: 8/10
Einen Kommentar schreiben